Dekoloniale Perspektive
Ressourcen – Reichtum unter Besatzung
Die Westsahara ist reich an Bodenschätzen und natürlichen Ressourcen. Phosphatvorkommen, Fischbestände, Sonne, Wind und landwirtschaftlich nutzbare Flächen machen die Region zu einer der wirtschaftlich interessantesten in Nordafrika. Doch diese Reichtümer sind für die saharauische Bevölkerung selbst kaum zugänglich. Seit der Besetzung durch Marokko im Jahr 1975 werden die Ressourcen der Westsahara systematisch ausgebeutet, und das ohne Zustimmung des saharauischen Volkes, das nach internationalem Recht als rechtmäßiger Eigentümer gilt.
Phosphatabbau – Export eines kolonialen Erbes
Die Mine Bou Craa, eine der größten Phosphatquellen der Welt, liegt im Norden der Westsahara. Betreiber ist die marokkanische Staatsfirma OCP (Office Chérifien des Phosphates). Das Phosphat wird über ein fast 100 Kilometer langes Förderband an die Küste transportiert und von dort aus weltweit, auch nach Europa, exportiert. Der Erlös fließt vollständig an marokkanische Stellen und Unternehmen, während die saharauische Bevölkerung keinen Anteil an den Gewinnen hat. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschied mehrfach (2016, 2018, 2021 und 2024), dass wirtschaftliche Abkommen zwischen der EU und Marokko nicht auf die Westsahara angewendet werden dürfen, solange die saharauische Bevölkerung dem nicht zustimmt. Dennoch werden Handels- und Fischereiabkommen bis heute so gestaltet, dass sie de facto auch die besetzten Gebiete der Westsahara einschließen.
Fischerei und Landwirtschaft – Europäische Märkte, saharauische Verluste
Vor der Küste der Westsahara befinden sich einige der fischreichsten Gewässer der Welt. Trotz eindeutiger EuGH-Urteile fischen europäische Flotten, insbesondere aus Spanien und Portugal, weiterhin in diesen Hoheitszonen. Die EU zahlt Lizenzgebühren an Marokko, obwohl dieses rechtlich nicht befugt ist, über die Ressourcen der Westsahara zu verfügen.
Auch in der Landwirtschaft setzen sich neokoloniale Strukturen fort: Rund um die Stadt Dakhla betreibt das Unternehmen Azura Group großflächige Plantagen, auf denen Datteltomaten für den europäischen Markt produziert werden. Die Produkte werden häufig als „marokkanisch” deklariert und gelangen so in deutsche Supermärkte, obwohl sie aus dem besetzten Gebiet stammen.
Energie und Baustoffe – Deutsche Firmen in besetzten Gebiete
Auch deutsche Unternehmen profitieren indirekt von der Besatzung. So liefern Siemens Energy und Siemens Gamesa Windturbinen für Windparks in der Westsahara, die u.a. den Phosphatabbau mit Strom versorgen. Diese Projekte tragen zur Stabilisierung der marokkanischen Präsenz in dem Gebiet bei.
Das deutsche Unternehmen HeidelbergCement ist über Tochterfirmen in der Westsahara aktiv und betreibt dort Betonwerke, die beim Bau marokkanischer Infrastruktur, etwa von Straßen, Häfen und Wohnanlagen, zum Einsatz kommen.
Darüber hinaus ist bekannt, dass Firmen wie die Köster-Marine-Proteins GmbH, die mit proteinreiche Futtermittel wie z.B. Fischmehl und Sojaproteinkonzentrat handeln, Handelsbeziehungen mit Fischereibetrieben unterhalten, die auch in den Gewässern der Westsahara aktiv sind.
Wirtschaftliche Interessen statt Selbstbestimmung
Diese vielfältigen Aktivitäten verdeutlichen die enge wirtschaftliche Verflechtung zwischen Europa und der Besatzungsmacht Marokko. Während marokkanische und internationale Konzerne Gewinne erzielen, sind die Saharauis von Arbeit, Beteiligung und Kontrolle ausgeschlossen. Dadurch wird die Ausbeutung der Ressourcen zu einem zentralen Aspekt der neokolonialen Strukturen in der Westsahara.
Die EU und ihre Mitgliedstaaten stehen damit in einem Widerspruch: Einerseits bekennen sie sich zum Völkerrecht und den Zielen nachhaltiger Entwicklung (SDGs), andererseits profitieren ihre Unternehmen von einer anhaltenden Besatzung, welche dieses Recht verletzt. Der Reichtum der Westsahara wird so zum Symbol einer globalen Ungerechtigkeit, bei der das Selbstbestimmungsrecht eines Volkes zugunsten ökonomischer Interessen verdrängt wird.
